Lebenswerter Weg mit Demenz
Text: Desislava Schengen | Fotos: Dan Thuy
Die Diagnose Demenz versetzt Betroffenen und ihren Angehörigen erstmal einen Schock. Dafür sollte man sich weder schämen, noch aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Wie man sich trotz Demenz im Alltag zurechtfindet, welche Stadien die Erkrankung durchläuft und wie man reine Vergesslichkeit von einer kognitiven Störung unterscheidet, das erklären die Experten des Info-Zenter Demenz.
Eines gleich vorweg: Mit der Diagnose Demenz ist das Leben nicht vorbei. Damit der Alltag jedoch weiterhin gelingt, sollte man sich informieren, professionelle Unterstützung suchen und die eigene Haltung zur Erkrankung überdenken. Diese Voraussetzungen haben Angehörige von Betroffenen im Rahmen des Welt-Alzheimertags Ende September in Luxemburg festgehalten.
Als nationale Beratungsstelle steht das Info-Zenter Demenz Betroffenen und Angehörigen umfassend und unabhängig zur Seite. Dabei stehen Hilfsangebote genauso im Mittelpunkt wie der Umgang mit der Erkrankung im Alltag.
Demenz treffe das Gehirn und sorge für den unumkehrbaren Verfall der geistigen Fähigkeiten, erklärt Christine Dahm-Mathonet. Nicht mehr Herr der eigenen Sinne zu sein, bereite vielen Menschen Sorgen. Doch muss man Angst vor der Demenz haben? „Das ist die falsche Frage“, so die Direktionsbeauftragte des Informationszentrums. Natürlich gehe die fortschreitende Erkrankung oft mit Angst einher. Dabei sei es aber wichtig, die Gründe dafür zu erörtern: „Angst entsteht meist aus Unwissenheit.“
Ein weiterer Grund sei eine negative Wahrnehmung der Demenz in der Öffentlichkeit. „Dabei betreffen die Bilder, die Menschen von der Krankheit haben, vor allem nur das letzte Stadium. Davor gibt es mehrere Phasen, in denen noch ein gutes Leben möglich ist“, beruhigt die Expertin.
Stadien der Demenz
Pauschal lasse sich der Alltag mit Demenz nicht beschreiben. Experten vergleichen es mit einer Reise, auf die sich der Patient und seine Angehörigen begeben. „Für jeden Betroffenen verläuft dieser Weg anders. Aber auch Familienmitglieder gehen ihn auf unterschiedliche Weise“, erklärt Dahm-Mathonet.
So kann die Diagnose beispielsweise befreiend für eine Betroffene sein, weil sie endlich eine Erklärung für ihre Symptome hat, während der Partner den totalen Zusammenbruch der gemeinsamen Zukunft befürchtet. Doch die Erfahrung zeigt, dass zwischen beiden Extremen noch viele gute Momente liegen.
Demenz verläuft in unterschiedlichen Phasen. Im Allgemeinen aber wird der Verlauf grob in drei wesentliche Etappen zusammengefasst: „Das Anfangsstadium zeichnet sich durch erste Einschränkungen aus. Die Menschen merken, dass etwas nicht richtig funktioniert, können ihren Alltag aber weiter mehr oder weniger autonom meistern.“ Kalender, Notizen oder Erinnerungen helfen, der fortschreitenden Vergesslichkeit zunächst entgegenzusteuern.
Ein erfülltes Leben
Im zweiten Stadium sind Betroffene immer mehr auf äußere Hilfe angewiesen. Sie kommen nicht mehr allein zurecht, brauchen jemanden, der sie im Alltag enger begleitet. Meist leben die Menschen noch zu Hause, sind aktiv, gehen spazieren, nehmen am Vereinsleben teil. Dieser Alltag ist möglich, unter einer Voraussetzung: Das Umfeld der Betroffenen weiß Bescheid. Dahm-Mathonet schildert etwa den Fall eines Patienten, der dank der Unterstützung seiner Chorkollegen weiter im geliebten Verein mitwirken konnte. Sie ließen ihn bei den Stücken mitsingen, die er gut kannte, und drückten schon mal ein Auge zu, wenn er die Töne nicht traf. Erst im dritten Stadium sind die kognitiven Fähigkeiten so weit eingeschränkt, dass die Menschen umfassende Unterstützung brauchen und nicht mehr – oder nur mit weitreichen der professioneller Betreuung – zu Hause leben können. Dieser Zustand erklärt auch die weitaus negative Auffassung von geistesabwesenden Senioren.
Familienleben mit Unterstützung
Ab dem zweiten Stadion sind Patienten also dauerhaft auf Unterstützung angewiesen. Die Pflege übernehmen Partner, die oft selbst schon betagt sind, oder erwachsene Kinder. Dies kann mitunter ziemlich belastend sein, was wiederum eine professionelle Betreuung durch Pflegedienste erforderlich mache, so Christine Dahm-Mathonet. „Die Betreuung eines dementen Angehörigen kann eine Person allein nicht stemmen, das ist ein 24-Stunden-Job.“ Deshalb rät die Expertin, diese Aufgabe auf mehreren Schultern zu verteilen und ein Netzwerk aufzubauen. „Demenz ist ein Weg, der im Verlauf der Erkrankung immer schwieriger wird. Aber wir möchten den Menschen vermitteln, dass es möglich ist, diesen Weg mit fachlicher Begleitung zu beschreiten.“
Wer sich mit zunehmendem Alter Fragen stellt, ob man nur vergesslich ist oder möglicherweise schon an einer kognitiven Störung leidet, kann auf Unterscheidungskriterien zurückgreifen, die von Experten zusammengestellt wurden.
Vergesslichkeit oder schon Demenz?
„Vergesslichkeit im Alter ist ganz normal und per se kein Grund zur Sorge“, betont Dahm-Mathonet. Der Körper altert mit allen Organen, auch dem Gehirn. „Genauer hinschauen sollte man, wenn man versucht, sich krampfhaft zu erinnern und die abzurufende Information einem partout nicht einfällt“, erklärt die Fachfrau. Ein anderes Kriterium bezieht sich auf das Verständnis von schriftlichen und mündlichen Anweisungen. Solange etwa die Einkaufsliste hilft, den Großteil der benötigten Produkte zu besorgen, bestehe noch kein Grund zur Sorge. „Wenn man aber ins Geschäft geht und nicht mehr weiß, was die Begriffe auf der Einkaufsliste bedeuten, dann sind das Anzeichen für eine kognitive Störung.“ Oft verlegt werden auch Brille, Brieftasche oder Schlüssel. Das ist normal, beruhigt die Expertin. „Wenn man aber merkt, dass man den Schlüsselbund im Kühlschrank vergisst oder allgemein Dinge an ungewöhnlichen Stellen hinterlässt, dann sind das Anzeichen dafür, dass im Gehirn etwas nicht stimmt.“