Mitten im Leben bleiben
Interview: Vibeke Walter
Demenzerkrankungen gelten oft als klassische Altersleiden. Aber auch jüngere Menschen können davon betroffen sein. Die Direktionsbeauftragte des Luxemburger Info-Zenter Demenz, Christine Dahm-Mathonet, schildert, welche Auswirkungen die Diagnose Frühdemenz haben kann und wie Betroffene und ihr Umfeld damit umgehen können.
Demenzerkrankungen werden gemeinhin mit Menschen höheren Alters in Verbindung gebracht. Was hat es mit der sogenannten Frühdemenz auf sich?
Frühdemenz ist nicht zu verwechseln mit einer Demenz im Frühstadium, sondern bezieht sich auf Menschen, die jünger als 65 Jahre sind. Die Hauptgruppe der Demenzkranken ist in der Regel über 75 Jahre alt. Generell gilt, dass das Risiko an einer Demenz zu erkranken, mit zunehmendem Alter steigt. In Deutschland geht man mittlerweile jedoch davon aus, dass rund 2% aller Erkrankten jünger als 65 sind. In Luxemburg gibt es schätzungsweise rund 8000 Demenzbetroffene, darunter wahrscheinlich mehr als 600, die an einer sogenannten Frühdemenz leiden.
Wie äuβert sich eine Frühdemenz?
Die Hauptform ist auch hier die Alzheimer-Erkrankung mit ihren typischen Symptomen, wie zunehmenden Gedächtnisstörungen, Sprach- und Orientierungsproblemen. Sehr oft zeigen sich bei einer Frühdemenz aber eher seltene Demenzformen, wie z. B. eine Frontotemporale Degeneration, die u.a. zu starken Verhaltensauffälligkeiten führt, oder die Lewy-Body-Demenz, charakterisiert vor allem durch Bewegungs- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie Sinnestäuschungen. Die gröβte Schwierigkeit besteht für Betroffene darin, eine differenzierteDiagnose ihrer Krankheit zu bekommen. Man sollte unbedingt darauf bestehen zu erfahren, um welche Demenzform es sich genau handelt, und im Zweifelsfall Spezialisten wie Neurologen, Psychiater oder Geriater hinzuziehen. Oft werden die Symptome mit Depressionen oder Burnout verwechselt, weil die Betroffenen vergleichsweise jung sind und eine Demenz gar nicht erst in Betracht gezogen wird.
Warum ist die genaue Diagnose so wichtig?
Für Menschen mit einer Frühdemenz steht oft viel auf dem Spiel: Sie befinden sich meist noch mitten im Berufsleben, haben familiäre Verpflichtungen und vielleicht auch Kinder, die noch zur Schule oder Uni gehen. Das heiβt, sie haben ganz andere Bedürfnisse oder erleben andere Herausforderungen als beispielsweise hochbetagte Patienten. Für Familien bedeutet dies ein völliger Umbruch, bei dem alle lernen müssen, mit den Verhaltensänderungen im gemeinsamen Alltag umzugehen. Die Beziehungen zu Kindern und Partnern ändern sich fundamental, besonders wenn man noch viele gemeinsame Zukunftspläne hatte. Aus einer Paarbeziehung kann immer mehr eine Betreuungssituation werden. Man muss dann gemeinsam schauen, wie die Demenzerkrankung als Teil des familiären Systems betrachtet bzw. wie die Auswirkungen gemeinsam bewältigt werden können.
Welche weiteren Konsequenzen kann die Erkrankung haben?
Besonders das Berufsleben ist oft stark davon betroffen und dies kann wiederum u.a. finanzielle Konsequenzen zur Folge haben. Ich habe kürzlich auf einem Kongress den Bericht einer Betroffenen gehört, die erst nach zwei Jahren die Diagnose einer Frühdemenz bekam und bis dahin Konflikte, Ausgrenzung, Degradierung bis hin zu Mobbing erlebt hatte, weil sie ihre Arbeit nicht mehr wie gewohnt ausüben konnte. Als die Erkrankung dann offiziell bekannt wurde, wurde sie sofort krankgeschrieben und musste ihren Arbeitsplatz verlassen. Für die damals 56jährige ein traumatisches Erlebnis, das meiner Meinung nach in dieser Form nicht sein müsste.
Wie könnte ein demenzfreundliches Berufsleben bestenfalls aussehen?
Zunächst einmal ist es sehr wichtig, über die Krankheit zu informieren und dafür zu sensibilisieren. Problematisch ist, dass man den Betroffenen ihre Erkrankung nicht ansieht und ihr mitunter sozial unangemessenes oder auffälliges Verhalten gar nicht versteht. Menschen mit Demenz sollten dennoch das Recht haben, weiterhin beruflich aktiv zu sein. Das bedarf allerdings einer gewissen Vertrauensbasis und viel Unterstützung und Verständnis seitens der Arbeitgeber und Kollegen. Demenz muss nicht der Schlusspunkt einer beruflichen Tätigkeit sein, sie muss nur anders gestaltet bzw. angepasst werden. Oft kommen Betroffene noch lange sehr gut in ihrem gewohnten Kontext und mit ihren vertrauten Aufgaben zurecht. Wir raten vor vorschnellen Entscheidungen ab, man sollte sich auch nicht unter Druck setzen lassen und sofort kündigen oder in andere Panikreaktionen verfallen. Im Zweifelsfall sollte ein menschenwürdiger Ausstieg in gemeinsamer Absprache und Übereinstimmung möglich sein. Es ist in jedem Fall sehr wichtig, dass man sich die nötige Zeit nimmt, um herauszufinden bzw. zu überlegen, was man weiterhin tun möchte.
Das gilt wahrscheinlich auch für die weitere Lebensplanung?
Genau, dabei stellen sich Fragen, wie man in Zukunft seinen Alltag ganz konkret gestalten will und kann. Auto fahren ist dabei besonders für jüngere Menschen ein heikles Thema. Schwierig ist auch, dass Betreuungsstrukturen und Aktivitäten eher für ältere Personen ausgerichtet sind. Ich denke, man sollte Demenz in Zukunft stärker als eine Beeinträchtigung und nicht ausschlieβlich als Krankheit sehen. Es wäre wichtig, Betroffenen so viel Teilhabe wie möglich zu gewähren, indem man ihre Bedürfnisse versteht und sich, wenn möglich, so gut es geht an sie anpasst. Das einzige Heilmittel, das es momentan gibt, ist eine informierte Einstellung. Das ist jedoch oft leichter gesagt als getan, besonders für Familie und Partner.
Haben Sie Erfahrungswerte von Betroffenen?
Oft bricht eine Welt zusammen, und es kann zu Überforderung, Distanzierung oder Trennung kommen. Die Bewältigung dieser sogenannten weiβen Trauer, also der Verlust eines Menschen, der physisch noch präsent, aber ansonsten kaum mehr wiederzuerkennen ist, ist sehr schwer. Es kann hilfreich sein, ein vertrautes Umfeld zu schaffen bzw. aufrechtzuerhalten. Ich kenne das Beispiel einer Frau, die ihrem demenzkranken Mann zu Hause ein Büro eingerichtet hat, in dem er Akten und Dokumente ablegen konnte, und ihm so das Gefühl vermittelte, weiter arbeiten zu können. Ein Betroffener schilderte mir, wie sehr ihm die liebevolle Unterstützung und Fürsorge seiner Ehefrau dabei half, aus dem Loch herauszufinden, in das er nach der Diagnose Frühdemenz geraten war. Ein anderer offenbarte sich nach einigem Zögern gegenüber seinem Gesangsverein und erfährt dort soviel Akzeptanz, dass er weiterhin aktiv mitsingen kann. Es bestehen nach wie vor viele Ängste und Unsicherheiten, wie man mit der Krankheit umgehen soll, und es braucht Zeit, die Diagnose zu verarbeiten. Aber mit der nötigen Unterstützung kann es gelingen, den Weg ins Leben zurückzufinden.
Kasten:
Das 2016 gegründete Info-Zenter Demenz ist ein Informations- und Orientierungsdienst für alle Fragen im Zusammenhang mit neurokognitiven Erkrankungen. Es bietet Beratung für Betroffene und Angehörige, das vierköpfige Team ist außerdem im Bereich Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit tätig.
Das Info-Zenter Demenz befindet sich 2, rue des Bains in Luxemburg-Stadt und ist zudem unter Tel. 26 47 00 oder per E-Mail info@demenz.lu erreichbar. Die Beratungen können auf Französisch, Luxemburgisch, Deutsch, Portugiesisch oder Englisch stattfinden. Alle Dienstleistungen sind kostenlos.
Weitere Informationen z. B. auch zur Selbsthilfegruppe der Association Luxembourg Alzheimer (ala) auf www.demenz.lu
Aufruf
Für die Kampagne „Mäi Liewe mat Demenz“ sucht das Info-Zenter Demenz Betroffene, die mitten im Leben stehen und bereit sind, in Form von Interviews von ihren Erfahrungen zu erzählen. Interessierte können sich gerne unter Tel. 26 47 00 oder per E-Mail über info@demenz.lu melden.