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8 septembre 2023

„Ohne professionelle Pfleger wären die schönen Momente mit meinem Vater nicht möglich gewesen.“

Im Rahmen des Weltalzheimertages veröffentlicht das Info-Zenter Demenz im September 2023 eine Reihe von Interviews mit Angehörigen von Menschen mit Demenz zum Thema « Glücksmomente trotz Demenz ».

Interview mit Claude Lamberty (58) aus Reckange-sur-Mess über Glücksmomente mit seinem Vater Hubert [1]

Herr Lamberty, Ihr Vater war an einer Alzheimer-Demenz erkrankt. Erzählen Sie uns bitte von ihm.

Mein Vater Hubert (genannt Hipp) ist 1927 in Luxemburg-Stadt geboren und 2014 im Alter von 87 Jahren gestorben. Die Diagnose Alzheimer-Demenz erhielt er mit Anfang 80. Da lebte er noch mit meiner Mutter (geboren 1934) zu Hause. Bereits einige Zeit vorher hatten wir Veränderungen festgestellt, z.B. dass er sich an Verschiedenes nicht mehr erinnern konnte oder „unpassend“ reagiert hat: Reaktionen, die wir nicht deuten konnten. Der Moment, wo die Diagnose „Alzheimer“ gestellt wurde, war ein sehr harter Moment. Und dennoch wurde uns einiges im Nachhinein klarer und es wurde uns bewusst, dass nicht er, sondern wir es gewesen waren, die vielleicht so manches Mal falsch reagiert hatten.

Die Diagnose war also wichtig für Sie und Ihre Familie?

Während der Zeit vor der Diagnose hat man Vermutungen, und die Realität zu verdrängen ist ein Schutzmechanismus. Aber wenn man ehrlich ist, dann weiß man: das passt nicht, das ist keine normale Vergesslichkeit.

Oft verletzt man einen Angehörigen, wenn man nicht weiß, wie es um ihn steht. Und im Nachhinein tut es einem dann leid. So hart und schlimm die Diagnose auch ist, ist es wichtig, gesagt zu bekommen: Ihr Partner oder Ihr Vater hat eine Demenz. Das ist ganz brutal, aber damit weiß man, wo man steht, und man kann lernen, mit dieser Tatsache umzugehen.

Welche schönen Momente haben Sie mit Ihrem Vater erlebt?

Diese Krankheit kann man nicht schönreden, und es gibt auch kein Rezept, wie man am besten damit umgeht. Meine Mutter, meine Schwester und ich, sowie unsere Partner und Kinder haben versucht, meinem Vater Freude zu bereiten und er hat viel gelacht. Mit diesem Lachen und seiner Fröhlichkeit konnte er so manches überspielen, auch später, als er schon im Pflegeheim war. Mir war es auch immer wichtig, mit ihm, anstatt über ihn zu reden, ihn einzubinden und mit seinem Namen anzusprechen. Er hat dann immer genickt und war mit allem einverstanden. Das war immens (lacht). Als er es selbst nicht mehr konnte, habe ich meinem Vater den Bart rasiert. Er hatte ein raues Gesicht und ich musste gut aufpassen, denn er hat immer gelacht. „Du darfst nicht lachen“, habe ich ihm gesagt, und wir hatten viel Spaß dabei – auch wenn das Resultat nicht immer perfekt war (lacht).

Auch wenn mein Vater mich als Kind eher selten in den Arm genommen hatte und wir uns auch später als Männer zur Begrüßung nur die Hand gaben, habe ich doch immer seine Liebe gespürt. Er war ein hochsensibler Mensch und zum Schluss seiner Erkrankung konnte ich meinen Vater in den Arm nehmen. Ich war sehr froh darüber und habe auch gemerkt, wie wichtig dieser Körperkontakt für ihn war.

Hat Ihre Mutter auch Glücksmomente erlebt?

Die Hauptperson um meinen Vater herum war unsere Mutter. Sie hat die meiste Arbeit gemacht, obwohl es emotional belastend war. Wir haben großen Respekt davor, unter welchen Bedingungen sie sich um meinen Vater gekümmert hat. Ich denke, es war wichtig für sie zu wissen, dass ihre beiden Kinder, meine Schwester und ich, da waren. Wenn einer von uns zu ihnen fuhr, dann konnte sie eine Pause machen und ihren Alltag unterbrechen. Wenn wir dann miteinander gescherzt oder Fotos angeschaut haben, dann hat das oft die Stimmung aufgelockert, und meine Mutter konnte eine andere Beziehung zu meinem Vater aufbauen. Wenn ich z.B. mit meinem Vater in der Apotheke oder im Supermarkt war – wofür ich dann immer eine Ewigkeit gebraucht habe (lacht) -, und Nachbarn und Bekannte meine Mutter später darauf ansprachen, dass sie Vater und Sohn beim Einkaufen getroffen hatten, hat das meine Mutter gefreut.

Als meine Mutter 2013 erkrankte und operiert werden musste, haben wir veranlasst, dass beide im Krankenhaus einen gemeinsamen Moment erleben konnten. Ein Betreuer vom Pflegeheim hat meinen Vater mit einem Kleinbus zu meiner Mutter ins Krankenhaus gebracht. Im Zimmer wurde ihnen bei Kerzenschein ein gemeinsames Essen serviert, wir haben Fotos gemacht. Das war für uns alle ein Glücksmoment. Meine Eltern konnten nochmal fühlen, wie es war, so wie früher, zusammen zu sein. Dafür möchte ich heute noch ein großes Dankeschön an die BetreuerInnen und PflegerInnen aussprechen, die dieses Tête-à-tête ermöglicht haben.

© Info-Zenter Demenz

Was hat Ihnen geholfen, diese Glücksmomente zu erleben?

Da ich mich über die Krankheit informiert hatte wusste ich, dass die Erinnerungen meines Vaters an früher noch präsent waren. Weil er in der Stadt Luxemburg am Breedewee geboren war, lag es für mich auf der Hand, regelmäßig mit ihm zusammen in seine Heimat zu fahren: zur Corniche, zur Altstadt, nach Clausen. Wenn er sich dann gefreut hat und sich an Sachen erinnerte, dann konnte er es zwar nicht mehr mit Worten ausdrücken, aber ich wusste, was er sagen wollte. Er hat um sich herum gezeigt, hierhin und dorthin gestikuliert. Er war so froh und hatte Tränen in den Augen. Das waren extrem bewegende Momente, in denen er mir so nah war und ich seine Liebe spüren konnte, und die sogar heute noch nachwirken. Ich bin sehr dankbar, dass ich überhaupt auf die Idee gekommen bin, das so zu machen.

Solche Momente waren jedoch nur möglich, weil wir uns nicht ununterbrochen um unseren Vater kümmern mussten, sondern weil wir professionelle Unterstützung hatten (er ging zu dem Zeitpunkt bereits in eine Tagesstätte). Wir hatten eine neue Routine gefunden und meine Mutter konnte währenddessen abschalten und sich eine Auszeit nehmen. Und auch meinem Vater hat es gutgetan.

Was braucht es noch, um Glücksmomente zu erleben?

Dazu braucht es, neben der professionellen Unterstützung, auch Ruhe und Zeit. Manchmal sind wir in Erpeldingen mit dem Rollstuhl durch den Park gefahren. Mein Vater konnte mich wahrnehmen, auch wenn er meinen Namen nicht mehr wusste. Aber er konnte noch ausdrücken, wie froh er war über meine Anwesenheit. Das ist dann mit der Zeit natürlich immer schwerer geworden, aber es hat mich doch immer wieder gedrängt, ihn besuchen zu gehen. Das waren kostbare Augenblicke für mich.

Ich habe versucht, mit meinem Vater gewisse Rituale einzuhalten, z.B. ihn immer wieder auf die gleiche Art und Weise zu begrüßen. Ich habe ihn immer zuerst beim Namen genannt, ihm die Hand gegeben und eine ganze Zeit lang gedrückt. Und wenn er nach einiger Zeit seine Hand lockerte, habe ich zu ihm gesagt: „Komm, drück meine Hand mal richtig fest“. Dann hat er gelacht und nochmal richtig gedrückt. Das war mir wichtig: ihn festzuhalten. Beim Abschied, wenn wir einige Stunden miteinander verbracht hatten, habe ich ihn in den Arm genommen, gedrückt und gesagt „Ich komme wieder“. Ich habe gemerkt, dass ihm das auch wichtig war und dass er das mochte – vielleicht weil es ihm eine Sicherheit gegeben hat.

Mein Vater hat immer gerne Musik gehört. In den 60er Jahren hatte er in Metz ein Konzert von Louis Armstrong besucht. Und immer, wenn ich ihn im Auto mitgenommen habe, habe ich Duke Ellington, Louis Armstrong oder andere Musik aus seiner Zeit laufen lassen. Und wenn Tom Waits mit seiner tiefen Stimme gesungen hat, dann hat mein Vater sofort mitgesungen, auch wenn er nur wenige Wörter Englisch konnte. Ich habe ihn 2-3 mal beim Singen gefilmt – wunderschöne Aufnahmen, die uns heute noch zu Tränen rühren aber auch zum Lachen bringen, wenn wir sie uns anschauen. Was für ein beeindruckender Optimismus!

Auch das Ritual des Zeitunglesens hat er lange beibehalten. Meine Mutter hat ihm jeden Tag die Zeitung gegeben und er hat laut daraus gelesen und versucht, die Buchstaben zu entziffern. Und als ihm das nicht mehr gelang, hat meine Mutter ihm trotzdem weiterhin die Zeitung gegeben. Auch das war wichtig und haben wir, dank der Informationen und Kurse, denke ich, richtig gemacht.

Welche Möglichkeiten gab es, mit Ihrem Vater in Kontakt zu treten?

Wenn mein Vater immer wieder gefragt hat „Wieviel Uhr ist es?“ oder „Wie lange arbeitest du heute?“, dann wusste ich, weil ich mich darüber informiert hatte, dass es wichtig war darauf zu antworten. Und ich wollte ihn nicht verletzen und ihm nicht das Gefühl vermitteln: das hast du mich schon mal gefragt. Ich bin ja selber auch kein Experte, habe aber aufgrund der Informationen, die ich erhalten hatte, Wert auf den Augen- und Körperkontakt gelegt. Wenn wir uns gegenübersaßen, habe ich mich auf ihn konzentriert und nicht auf mein Handy geschaut oder eine Zeitung gelesen. Es war mir wichtig, ihn anzufassen, ich wollte ihn bei mir halten, ihn nicht gehen lassen. Ich wollte, dass er mich so lange wie möglich wahrnimmt, meine Präsenz spürt. Wenn er alleine dasaß und ich zu ihm gekommen bin, und seine Augen dann ein kleines bisschen grösser geworden sind, dann war das für mich schon ein berührender Moment. Das ist nicht immer passiert, und das war dann hart für mich. Aber man lernt auch, aufzuhören Erwartungen zu haben, wenn man die kranke Person besuchen geht. Man weiß nie, was man zu erwarten hat.

Seinen 87. Geburtstag haben wir sehr schön in seinem Pflegeheim gefeiert. Ein Pfleger hat Gitarre gespielt und es waren viele Menschen um ihn herum. Auf einmal habe ich jedoch gesehen, dass es meinem Vater zu viel wurde. Ich bin dann mit ihm im Rollstuhl auf den Balkon rausgegangen. Dort saßen wir dann ganz nah beieinander und ich fragte ihn aufmunternd, ob es geht. Er hat mich angeschaut und gesagt: „Du bist ja einer… ich bin froh, froh, froh, froh.“ Für mich war das ein wunderschönes Geschenk, auch wenn ich gedacht habe „Oh Papp, du bist so weit fort – und dennoch ist noch etwas da“. Das war sein Geburtstagsgeschenk an mich. Einen Monat später ist er dann an den Folgen der Alzheimer-Krankheit gestorben. Aber dieser Glücksmoment ist auch heute immer noch bei mir präsent.

Sie betonen immer wieder, wie wichtig professionelle Unterstützung ist.

Ja, Glücksmomente in der Demenz zu erleben ist nur möglich, wenn man Hilfe hat.

Angehörige sollten sich informieren, z.B. im Info-Zenter Demenz. Es ist eine große Erleichterung, zu wissen, dass man nicht alleine ist. Auch wenn jede Erkrankung anders verläuft und jede Situation individuell ist, ist der Kontakt zu anderen Betroffenen wichtig. Denn es gibt immer Parallelen, wie z.B. die Dauer-Trauer, in der man sich befindet, das Gefühl von innerer Leere, weil immer wieder ein Stück der Person verloren geht, obwohl sie ja physisch noch da ist. Was hilft, ist darüber zu sprechen und Abstand zu nehmen. Der Austausch mit Professionellen und anderen Angehörigen, z.B. während Kursen für betroffene Familien, gibt Kraft.

Das Wissen über die Erkrankung hilft auch im Umgang mit betroffenen Personen, z.B. wenn sie unruhig sind. Mein Vater hat oft Situationen nicht verstanden und darauf manchmal heftig reagiert. Wenn man weiß, dass das Überreaktionen sind und wie man damit umgehen soll, weiß man auch, dass es nichts bringt, zurückzuschreien. Angehörigen sollten versuchen, die Verantwortung und Betreuung einer betroffenen Person breiter zu verteilen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Das ist nicht nur im Sinne der Angehörigen, sondern auch im Sinne der Betroffenen.

Möchten Sie zum Schluss noch etwas hinzufügen?

Ich habe von meiner eigenen Geschichte erzählt. Allzu gerne würde ich ein allgemein gültiges Rezept schreiben, wie man am besten mit der Situation umgeht. Wichtig erscheint mir, sich die nötige Zeit für Begegnungen zu nehmen. Denn das sind Momente, die nicht mehr zurückkommen. Wenn man die Diagnose erhalten hat, muss man lernen, damit umzugehen und sich dennoch schöne Momente und gute Gefühle zu schaffen. Was sind gute Gefühle? Dass man Ruhe verspürt, nicht zu viel Aufregung, auch wenn etwas schiefgelaufen ist, keine große Sache draus zu machen, sondern ruhig zu bleiben, die Situation zu akzeptieren. Ein gutes Gefühl ist sicherlich, wenn die betroffene Person merkt: ich werde akzeptiert und respektiert, so wie ich bin, ich bin keine Belastung. Das haben wir immer versucht, zu vermitteln und das hat mein Vater ja auch gespürt: die Liebe seiner Frau, seiner Kinder und seiner Enkelkinder. Wichtig ist auch, den Humor nicht ganz zu verlieren. Rückblickend denke ich, dass wir alle das irgendwie intuitiv richtig gemacht haben.

Wir haben als Familie und als Gesellschaft eine gemeinsame Verantwortung gegenüber älteren Menschen und Menschen mit Demenz. Und dafür braucht man zweierlei Ressourcen: Wissen über die Erkrankung, um besser damit umgehen zu können, und vor allem engagierte Menschen, die professionell unterstützen und begleiten und sich dafür die nötige Zeit nehmen. Ein großes Dankeschön an alle PflegerInnen für ihr Engagement! Ihre Arbeit ist ein wichtiger Beitrag für unsere gesamte Gesellschaft und es sollten Bedingungen geschaffen werden, diesen Beruf besser zu wertschätzen und attraktiver zu machen. Ohne sie hätten wir diese schönen Momente nicht erleben können.

Vielen Dank, Herr Lamberty, für dieses Gespräch und den Einblick in Ihre Erfahrung.

Am 19. September organisiert das Info-Zenter Demenz eine Konferenz zum Thema Kostbare Augenblicke – Wie Glücksmomente in der Demenz gelingen, mit u. a. Poetry Slammerin Leah Weigand. Mehr Infos & Anmeldung hier.

[1] Das Interview wurde geführt von Christine Dahm-Mathonet, Direktionsbeauftragte vom Info-Zenter Demenz, im Juli 2023.

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