Vom Sitzen zum Staunen: Wie Gartentherapie Menschen mit Demenz aufblühen lässt
Im Rahmen der LUGA organisiert das Info-Zenter Demenz ab Mai 2025 Naturveranstaltungen für Menschen mit Demenz, u.a. auch Gartentherapie-Workshops. Im Interview erklärt Ulrike Kreuer, warum Gartentherapie besonders für Menschen mit Demenz wertvoll ist.
Wer ist Ulrike Kreuer?
Ulrike Kreuer ist Gartenbauingenieurin, Gartentherapeutin und -planerin, Referentin und Buchautorin. Seit über 20 Jahren gestaltet sie Gärten für Menschen mit Demenz in Senioreneinrichtungen. Dabei legt sie besonderen Wert darauf, diese Gärten gemeinsam mit den Betroffenen anzulegen. Angehörige und Pflegekräfte werden animiert, den Garten aktiv zu nutzen, damit er nicht nur angelegt wird, sondern auch lebendig bleibt.
Warum haben Sie sich auf Menschen mit Demenz fokussiert?
Es wurde mir immer klarer, dass da ein Bedarf ist und die Wirkung von Naturerfahrungen am stärksten ist : Naturerfahrungen stärken insbesondere die Identität und Orientierung und lassen Fähigkeiten aufleben. Das erlebe ich am deutlichsten bei Menschen, die an Demenz erkrankt sind, weil ihnen am wenigsten zugetraut wird oder weil sie aus eigenem Impuls vieles nicht mehr können. Oft wird ihnen gesagt: «Nun bleib mal sitzen.» oder «Du kannst/weißt das nicht mehr». Natur und Garten sind so selbsterklärend. Es geht darum, mit den Menschen Geduld zu haben und erstmal abzuwarten, welcher Impuls entsteht, z.B. an einer Pflanze herumzunästeln oder den Wind zu spüren. Bei Menschen ohne Demenz kann ich sagen: «Fühlen Sie mal hier, schauen Sie mal dort.» Bei Menschen mit Demenz geht das nicht so, da schicke ich erst mal die Natur vor und stelle mich in den Hintergrund. Nicht zu wissen, was kommt, und mich darauf einzulassen, ist für mich beglückender als intellektuell über botanische Pflanzennamen auszutauschen. Es sind echte Begegnungen.
Was erwartet die Teilnehmerder Gartentherapieworkshops?
Eine große Tür, die sich öffnen wird, um mit der Natur in Kontakt zu kommen, egal wie das Wetter oder die Stimmung sind. Die Teilnehmer sollen Lust haben, sich von der Natur leiten zu lassen und die kleinen Dinge zu sehen. Die Natur spricht eher die Sprache von Menschen mit Demenz als wir. Wir müssen aus dem Kopf raus und bereit sein, uns mit den Sinnen voranzutasten.
Sie bieten die Gartenworkshops ja zu unterschiedlichen Jahreszeiten an
Die Workshops werden den Jahreszeiten entsprechen. Im Mai haben wir das Thema «Blumen, Blüten und Kräuter». Der Frühling ist ja so bezeichnen durch seine wundervolle Blütenpracht und die ersten Küchenkräuter, wie z.B. der Bärlauch. Wir werden Blüten einsammeln und betrachten und so der Natur Aufmerksamkeit schenken. Bei den Workshops im Juni geht es um das Thema «Von der Wiese zum Heu», um Wiesenkräuter, die Heuernte, den Duft des Heus und vieles mehr. Es ist erstaunlich, was die Menschen aus ihrer Biografie mit dem Thema Heu und Wiese in Verbindung bringen. Wir werden ganz viel Heu und Wiesenkräuter mitbringen und über den Duft in das Thema einsteigen. Ich mache übrigens selber Heu und gehe auch mit der Sense in Altenheime, wenn da noch ein kleines Stückchen Wiese ist. Ich dengle und schleife dann meine Sense, schneide das Gras oder lege einen Riesenhaufen mitgebrachtes
Heu auf den Tisch. Vielleicht werden wir auch eine Vogelscheuche bauen. Bei den Workshops im September geht es um das Thema «Den Garten riechen, schmecken und fühlen» und die Ernte. Wir werden u.a. mediterrane Kräuter wie z.B. Rosmarin mitbringen, die wir im August schon getrocknet haben werden.
Wie wirkt Gartentherapie?
Blüten einsammeln fördert die Feinmotorik : wenn ich nach Blättern greifen möchte, muss ich aufstehen, mich recken und strecken. Das fördert die Mobilität und den Gleichgewichtssinn. Wenn ich nach oben schaue, um einen Baum zu betrachten, reicht mein Blick in den Himmel. Wenn ich eine Blume anschauen möchte, muss ich mich vielleicht bücken und vergesse dabei, dass meine Tochter gesagt hat: «Mama, bleib am besten sitzen. » Es geht um Lebensfreude, Neugier, um den Entdeckergeist; aber natürlich müssen die Menschen sich dabei sicher spüren. Ältere Menschen, und Menschen mit Demenz insbesondere, haben zu oft ihren Blick nach unten gerichtet und sehen nur ihre Füße. Sie sitzen und gehen gebeugt, oft mit Rollator, und richten sich nur schwer auf. In der Gartentherapie geht der Blick jedoch nach oben: in Baumwipfel, Wolken und den Himmel. Anstatt zu sagen «Frau Müller, Sie müssen sich aber wieder aufrecht setzen.» kann ich ihr anbieten «Da oben wächst ein toller Apfel.». Dann beugt sich Frau Müller nach hinten, schaut in den Himmel und sieht noch vieles mehr als den Apfel und die Äste. Wenn ich gartentherapeutisch arbeite, habe ich immer ein Ziel. Z.B. bei einer Person, die sich nicht gerne berühren lässt und ängstlich ist, ist mein therapeutisches Ziel, ihr die Angst zu nehmen, ohne sie anfassen zu müssen. Mit Gartentherapie kann ich versuchen, das Gefühl von Geborgenheit über Pflanzen zu schaffen.
Was können die Betreuenden, die Angehörigen und Pfleger, dabei lernen?
Alltagsbegleiter erleben während den Workshops ein Repertoire an Angeboten, die sie auch daheim übernehmen können. Mit einem Zweig über den Unterarm streicheln, die Wolken betrachten, eine Baumrinde mit dem Finger nachfahren, im Regen stehen, ein kurzer Morgenspaziergang im Garten … – bereits das sind Naturerfahrungen, die identitätsstiftend sind und Leiberinnerungen wecken. Und das ist schon ganz viel. Oft dauern Impulse nicht länger als 10 Minuten. Betreuer sollen sich trauen, Naturerfahrungen auch in einem kleinen Setting anzubieten. Dabei können Sie auch erkennen, welche Fähigkeiten ihre an Demenz erkrankten Angehörigen haben, sie in einem neuen Licht erfahren und sehen, wie sie plötzlich aufblühen.
Für weitere Einzelheiten sowie Anmeldungen: www.demenz.lu/de/actualites/luga/
Dieser Artikel erscheint im Luxemburger Wort in der Serie „Demenz & Natur“. Weitere Artikel zum Thema sind am 12. und 19. April erschienen.
Auf dem Foto: Ulrike Kreuer und Heidrun Grote: „Die Natur spricht eher die Sprache von Menschen mit Demenz als wir.“