Heilsame Berührungen – Wenn der Verstand geht und die Gefühle bleiben
Von Christine Dahm-Mathonet, Direktionsbeauftragte Info-Zenter Demenz
Die Gefühle eines Menschen zählen zu seiner Persönlichkeit und Lebendigkeit. Sie erfüllen auch einen ganz bestimmten Zweck. Zum Beispiel regulieren sie die Beziehungen zu anderen Menschen und stoßen (vor allem spontane) Reaktionen und Entscheidungen an. Das gilt auch für Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind. Zwar haben sie möglicherweise Schwierigkeiten, ihre Emotionen verbal auszudrücken und lässt bei ihnen die Kontrolle über ihre Gefühle nach; die Gefühle selbst bleiben aber als Kern ihrer Subjektivität, ihrer Persönlichkeit erhalten. Ein Blick, ein Lächeln oder eine unruhige Bewegung können viel über den inneren Zustand eines Menschen mit Demenz verraten. Ihre nonverbalen Signale zeigen – oft auf unerwartete Art und Weise −, dass sie immer noch intensiv fühlen. Berührungen, vertraute Musik oder Fotos von geliebten Menschen können starke emotionale Reaktionen hervorrufen. Daher gilt: wer Menschen mit Demenz würdigen möchte, muss ihre Gefühle würdigen.
Gefühle ohne „objektives“ Maß
Gefühle wie Freude, Geborgenheit, Trauer, Angst und Liebe sind tief in unserem Wesen verwurzelt und bleiben auch bei fortgeschrittener Demenz erhalten. Auch wenn Sprach- und Bewegungsvermögen bereits verloren gegangen sind, lassen sie sich noch lange ablesen, z.B. über den Gesichtsausdruck, Gesten, Körperhaltung, die Position im Raum, Augenkontakt oder Berührungen. Besonders wichtig in der Begegnung mit Menschen mit Demenz ist, dass Gefühle ohne „objektives“ Maß sind. Rationale, oft gut gemeinte Sätze wie „Jetzt stellen Sie sich doch nicht so an.“ gehen genauso ins Leere und werten Gefühle ab wie: „Jetzt ist Ihr Mann doch schon so lange tot, jetzt muss es doch mal genug sein mit der Trauer.“ Denn ob ein Gefühl „sein darf“ und wie „groß“ es für die betroffene Person ist, ist nicht objektiv mess- oder vergleichbar, sondern wurzelt ausschließlich im persönlichen, subjektiven Erleben des fühlenden Menschen. Für Menschen mit Demenz kommt hinzu, dass sie ihre Empfindungen nicht mehr „von außen“ betrachten und mäßigen können, sondern dass ihr Gefühlsleben immer unmittelbarer, immer direkter wird. Das wird manchmal von anderen Beteiligten als Schwierigkeit erlebt, aber es kann auch ein Segen sein. So berichtet uns ein Angehöriger während einer Beratung: „Meine Mutter war immer sehr zurückhaltend mit ihren Gefühlen und eigentlich hatten wir keine gute Beziehung. Seit sie an einer Demenz erkrankt ist, ist unsere Beziehung inniger und herzlicher geworden. Ich habe eine Mutter gefunden, die ich vorher so nicht kannte.“
Besonderes Gespür für Emotionen
Menschen mit Demenz erleben und zeigen nicht nur die eigenen Emotionen direkter, sondern sie haben auch ein besonderes Gespür für die Emotionen anderer. Vor allem im mittleren Stadium der Erkrankung orientieren sich Menschen mit Demenz stark an der Gefühlswelt ihres Gegenübers. Wenn z.B. eine Pflegekraft oder ein Angehöriger gestresst das Zimmer betreten und versuchen, ihre Ungeduld zu verbergen, sind Menschen mit Demenz in der Lage, solche Dissonanzen wahrzunehmen und entsprechend ungefiltert zu reagieren.
Wie umgehen mit Emotionen?
Wie können wir als Betreuende und Pflegende mit den Emotionen von Menschen mit Demenz und mit unseren eigenen umgehen? Wichtig ist, dass wir uns auf die Gedanken- und Gefühlswelt von Menschen mit Demenz einlassen und, wenn nötig, in ihren „Film“ eintauchen. Dass wir ihre Emotionen und Empfindungen ernst nehmen und ihnen auf Augenhöhe begegnen. Dies gelingt nur, wenn wir die nötige Geduld aufbringen, gefühlvolle Empathie entwickeln und eine feinfühlende, zwischenmenschliche und wertschätzende Haltung einnehmen. Das ist oft leichter gesagt, als getan, aber es schafft eine tiefe Verbindung, welche ein gutes Zusammenleben ermöglicht und dem Menschen mit Demenz das Gefühl vermittelt, verstanden und geliebt zu werden.
Am 24. September organisiert das Info-Zenter Demenz eine Konferenz zum Thema „Toucher et être touché(e) – le tactile et les émotions dans la démence“. Mehr Infos & Anmeldung hier.