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29 août 2023

Jeder Tag mit Claude ist ein guter Tag.

« Im Rahmen des Weltalzheimertages veröffentlicht das Info-Zenter Demenz im September 2023 eine Reihe von Interviews mit Angehörigen von Menschen mit Demenz zum Thema « Glücksmomente trotz Demenz ».

Interview mit Madelène F. aus dem Kanton Echternach über Glücksmomente mit Ihrem Ehemann Claude [1]

Madelène F. und Claude lernten sich 1988 auf ihrer gemeinsamen Arbeitsstelle kennen. 1995 haben sie geheiratet. 1996, kurz vor der Geburt ihrer Tochter Lisa, erhielt Claude eine Krebsdiagnose und musste lange Zeit im Krankenhaus verbringen. Nach seiner Genesung kümmerte er sich intensiv um seine Tochter Lisa, wodurch zwischen beiden eine enge Beziehung entstand. Im Jahr 2011 nahm ihr Leben eine weitere Wendung, denn Claude erlitt Hirnblutungen. Später erhielt er die Diagnose vaskuläre Demenz. Madelène musste ihren gemeinsamen Alltag neu organisieren und Claude konnte dank Lisas und ihrer Unterstützung weiterhin zu Hause leben. Glücklicherweise konnte Madelène bei Bedarf Home Office machen. Ab 2018 ging Claude täglich in eine Tagesstätte in Dommeldange während Madelène weiter berufstätig blieb. „Natürlich war der Alltag schwer“, sagt Madelène, „aber ich habe es gern gemacht und es hat ihm erlaubt, so lange wie möglich zu Hause zu bleiben.“ Seit Januar 2023 wohnt Claude im Pflegeheim „Beim Goldknapp“ in Erpeldange, wo Madelène ihn fast täglich besucht. Im Interview mit dem Info-Zenter Demenz sagt Madelène: „Jeden Tag, den ich mit Claude verbringen kann, ist ein Glücksmoment.“

Madelène, was sind für dich [2] Glücksmomente?

Vor vier Jahren kam uns die Idee, dass wir uns als Familie – Claude, unsere Tochter Lisa, ihr Partner Maurice und ich – solange es Claude noch einigermaßen gut ging, von einem professionellen Fotografen fotografieren lassen wollten. Dabei sind Fotos eigentlich nicht so mein Ding (lacht), aber wir wollten ein Fotobuch haben mit schönen Erinnerungen. Wir haben einen sehr freundlichen Fotografen gefunden und einen ausgelassenen Vormittag im Park bei der Burg Bollendorf erlebt, waren albern und haben herzlich gelacht. Und ich dachte mir: selbst wenn keines der Bilder etwas werden sollte, so haben wir doch eine wunderbare Zeit miteinander verbracht (lacht).

Welche weiteren Glücksmomente habt ihr erlebt?

Was mich sehr glücklich macht ist unser familiärer Zusammenhalt: die enge Beziehung zwischen unserer Tochter Lisa und ihrem Vater, aber auch die außergewöhnliche Unterstützung in der Pflege durch Lisas Partner Maurice.

Ein weiteres Beispiel für einen Glücksmoment : Claude ist immer gerne schwimmen gegangen, aber irgendwann konnte er sich nicht mehr alleine an- und ausziehen. Da wurde es dann komplizierter, denn ich konnte nicht mit ihm in die Herrenkabinen gehen.  Ich bin dann zum Schwimmmeister gegangen und habe erklärt, dass mein Mann Orientierungsschwierigkeiten hat und dass ich ihm beim An- und Ausziehen helfen müsse. Kein Problem, sagte man mir, wir reservieren Ihnen eine Familienkabine. Uns wurde sogar eine Bahn reserviert, damit Claude und ich ungestört schwimmen konnten. Das haben wir dann monatelang gemacht. Wenn Claude dann mal aus der Bahn geraten ist und wir von anderen Schwimmern angesprochen wurden, habe ich ihnen erklärt, dass mein Mann Alzheimer hat. Und meistens hatten die anderen Schwimmer dann vollstes Verständnis.

Oder ein anderes Beispiel: eine meiner Freundinnen, Karien, hat gerne mit Claude musiziert. Eines Tages haben wir gemeinsam ein Theaterstück für Kinder in Ettelbrück besucht. Sein Zustand hatte sich da schon verschlechtert. Es waren viele Kinder mit ihren Eltern oder Großeltern da und Claude hat das sehr gefallen. Er hat laut gelacht und mitgesungen. Während Sprechpausen ist er aufgestanden und hat selber Theater gespielt. Die Kinder hatten so etwas noch nicht erlebt und waren begeistert. Die Schauspieler waren zunächst überrascht, haben dann aber schnell reagiert und mitgemacht. Das war ein schöner Moment. Und Claude war überglücklich.

V.l.n.r. : Claude, Madelène, Lisa und Maurice (© Marianne Valentin)

Manchmal kann eine Situation aber doch auch entgleiten. Wie gehst du dann damit um?

Solche Situationen bergen in der Tat immer auch ein Risiko. So war ich z.B. mit Claude auf einem Konzert und er hat nicht verstanden, warum die Leute nicht mitgesungen oder geklatscht haben. Er ist dann zu ihnen gegangen und hat sie aufgefordert mitzusingen. In diesen Situationen kann ich nicht den Grund seines Benehmens erklären, ohne dass Claude das mitbekommt. Ich halte dann ein Kärtchen hoch auf dem steht „Mein Mann hat Alzheimer“. Und so verstehen die Leute meistens, warum Claude so reagiert. Oder wenn Claude in einem Wartezimmer einer Arztpraxis andere Wartende imitiert und dadurch irritiert, zeige ich das Kärtchen, ohne viel sagen zu müssen.

Ihr seid immer sehr gerne verreist. Wie konntet ihr, trotz Claudes Erkrankung, weiterhin Reisen unternehmen?

Wir haben uns nicht zurückgezogen, sondern sind ganz offen mit seiner Erkrankung umgegangen.
Es war immer eine Frage der Organisation. Ich habe z.B. ein großes Appartement reserviert, so dass auch meine Mutter, ihr Partner, Familie oder Freunde mitkommen konnten. Ich bin dann in die umliegenden Restaurants und Cafés gegangen und habe gesagt, dass mein Mann Alzheimer hat und dass wir gerne vorbeikommen würden – aber am liebsten eine Stunde vor den offiziellen Öffnungszeiten oder außerhalb der Stoßzeiten, damit wir ungestört sein konnten. Oder dass wir einen ruhigen Tisch wünschten. Und meistens war das kein Problem.

Wenn jedoch Leute nicht wussten, was Alzheimer ist, dann haben sie manchmal komisch reagiert, wenn sie z.B. sahen, dass Claude als Dankeschön für ein Eis dem Eishändler Blumen am Wegesrand pflückte und überreichte.

Als diese Form des Urlaubs dann mit der Zeit schwieriger wurde, habe ich in Holland eine Reiseagentur gefunden, die Urlaub für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen anbietet. Das Hotel war ausschließlich für Menschen mit Demenz und deren Angehörige reserviert. So konnten wir z.B. abends beruhigt ins Restaurant gehen, und für Claude war es ein Genuss: es gab Vorspeise, Hauptgericht und Nachtisch, er konnte mit den Fingern essen und wenn mal etwas auf den Boden fiel, war das nicht weiter schlimm. Das war dann auch mal Urlaub für mich, denn Claude war betreut und umgeben von Professionellen und Ehrenamtlichen, die alle ein großes Herz hatten. Sie sind z.B. mit den Menschen Tandem-Fahrrad gefahren und mit ihnen ins Theater oder spazieren gegangen. Auch der ungezwungene Austausch mit anderen Angehörigen war für alle bereichernd. Mit vielen bin ich heute noch in Kontakt und wir können uns gegenseitig Tipps geben und ermutigen.

Was ist wichtig, damit Glücksmomente entstehen können?

Alzheimer ist eine schwere Krankheit und im Alltag ist es oft nicht leicht. Aber du kannst die Situation nicht ändern. Du kannst nur ändern, wie du die Situation betrachtest und damit umgehst. Mein Motto, das zu Hause an der Küchenwand hängt lautet: „Life is short, time is fast. No replay. No rewind. So enjoy every moment as it comes.” Und ich denke mir oft: wenn heute der letzte Tag sein sollte, dann hast du etwas Gutes gemacht. Jeden Abend, bevor ich ins Bett gehe, überlege ich mir 10 Sachen, die heute positiv waren. Und das fällt mir meistens sehr leicht. Diese Übung hilft, seine Einstellung und Sicht der Dinge zu verändern und solche Glücksmomente auch tagsüber zu erkennen. Und ich schaue nicht auf das, was nicht mehr geht. Sondern ich sehe, dass heute noch ganz viel geht. Auch wenn Claude heute nicht mehr schwimmen gehen kann, so können wir das durch etwas anderes ersetzen.

Und du hast auch Strategien entwickelt, um diese Glücksmomente vorzubereiten und zu ermöglichen.

Ja, ein rezentes Beispiel war: Claude liebt Musik und wir wollten auf das Memory-Walk Konzert mit Serge Tonnar gehen. Das muss natürlich alles vorbereitet werden: der Adapto-Bus, wer begleitet uns usw.  Schon morgens haben wir uns CDs von Serge Tonnar angehört und Claude hat sich feingemacht und übertrieben viele Halsketten und Armbänder angezogen. Er war stolz (lacht). Claude ist aus dem Adapto-Bus rausgelaufen, hat sofort mit unserer Tochter getanzt und ist Richtung Bühne gelaufen, um sich bei den Musikern zu bedanken. Ich halte ihn dann nicht zurück.

Claude mit Serge Tonnar beim Memory Walk Konzert 2021 (© S. Dahm)

Oder wenn er seinen Pullover, anstatt um den Hals zu binden, nur über eine Schulter geknotet hat oder mit zwei verschiedenen Schuhen das Haus verließ. Das war nicht nur ok, sondern ist mittlerweile sogar auch für andere zur Mode geworden (lacht).

Mittlerweile geht es Claude ja etwas schlechter. Welche Glücksmomente sind heute noch möglich?

In seiner Wohneinheit im Pflegeheim steht auf der Terrasse eine Hollywood-Schaukel für zwei Personen. Gestern war schönes Wetter und Claude und ich haben uns dann mit einer Decke, Zeitungen und etwas Musik für die Mittagspause in die Schaukel gelegt. Für das Personal muss das wohl ungewohnt gewesen sein, denn sie fragten, ob sie Fotos von uns machen könnten, denn es würde sonst kaum jemand die Schaukel nutzen. Für mich war das ein Glücksmoment.

Oder wir gehen über die Wiese spazieren und pflücken einen Strauß Löwenzahn, den wir dann in sein Zimmer stellen. Und wenn ich dann bei Claude im Zimmer bin und sehe, dass er froh ist und meine Hand nimmt, dann bin ich auch glücklich.

Vergangene Woche hat unsere Tochter Lisa mit ihrer Kindergartenklasse einen Ausflug zu einem Bauernhof in Erpelding gemacht. Das war nicht weit von Claudes Pflegeheim und ich habe mir überlegt, wie wir uns anschließen könnten, denn Lisa wollte schon immer ihrem Vater ihre Arbeit und Kindergartenklasse zeigen. Ich habe gefragt, ob ein Erzieher des Pflegeheims Claude eine halbe Stunde begleiten könnte. Wir haben Tiere gefüttert und gestreichelt, und sowohl für Claude als auch für die Kinder war es wunderbar, denn sie hatten keinerlei Berührungsängste. Ich finde es wichtig, dass Claude solche Momente noch erleben kann, auch wenn er danach zwei Tage lang erschöpft ist.

Was würdest du gerne anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Für mich sind Alzheimer-Patienten eigentlich erwachsene Kinder. Wenn man sie wie Solche betrachtet, wird der Umgang einfacher. Ein Beispiel: wenn ein kleines Kind für seinen Geburtstag eine große Sahnetorte vor sich stehen hat und voller Freude mit zwei Händen reingreift, dann lachen alle Erwachsenen, machen Fotos und sind entzückt. Wenn ein Alzheimer-Patient so eine Torte vor sich stehen hat, ist er auch froh. Er erlebt das wie ein Kind. Und wenn er dann auch mit zwei Händen reingreift, dann finde ich das genial, lache mit, mache Fotos und esse auch mit den Fingern.

Und wenn ein Kind singt, dann singen wir mit. Wenn ein erwachsenes Kind, ein Alzheimer Patient, voller Freude singt, dann sind wir geniert. Dabei ist dies doch ein schöner Moment.

Und es hilft ungemein, wenn man Alltagssituationen lockerer angeht. Ein Beispiel: Claude hatte Schwierigkeiten, sein Hemd ordentlich zuzuknöpfen, kam dann aber auf die Idee, sein Hemd mit Wäscheklammern zu schließen. Das fanden wir toll, und Lisas Partner Maurice hat sich dann auch mit Wäscheklammern sein Hemd zugeknöpft. Beide haben sich gut amüsiert.

Es gibt so vieles, das man noch mit Betroffenen unternehmen und erleben kann, aber man darf sich nicht genieren, auf Leute zuzugehen und um Nachsicht oder Unterstützung zu bitten oder Sonderwünsche zu äußern.

Du gehst also pro-aktiv, ja fast offensiv mit dem Thema um und hast den Mut, Tabus zu überwinden.

Ja, und letztlich geht es darum, seine eigene Trauer zu überwinden. Denn tatsächlich ist es so, dass mein Mann zu einem Kind wird.

Wie entwickelt sich diese Trauer? Wie gehst du mit dieser Trauer um?

Die Trauer ist permanent präsent, aber es gibt Phasen, wo sie grösser ist. Z.B. jedes Mal, wenn eine weitere Entscheidung getroffen werden muss. Und mit jedem Schritt wird die Distanz zu Claude größer: zuerst wohnte er noch daheim, dann ging er in die Tagestätte, und jetzt ist er im Pflegeheim. Und mit jedem Schritt verlierst du immer mehr deinen Mann und empfindest Trauer darüber. Die Trauer muss auch sein, aber sie sollte nicht die noch bleibenden Glücksmomente überschatten.

Warst du immer schon ein positiv denkender Mensch? Oder wie hat Claudes Krankheit dich verändert?

In unserer Beziehung war Claude eigentlich immer der positiv denkende Mensch. Als wir uns kennengelernt hatten, war ich die Seriöse und er der Clown. Dadurch haben wir uns gut ergänzt. Er hat nur Gutes in anderen Menschen gesehen, während ich ihnen gegenüber oft misstrauisch war. Er war immer gut drauf. Und das habe ich von ihm gelernt – so wie er von mir kochen gelernt hat (lacht). Diese positive Haltung hat mir im Leben viel geholfen. Für mich ist es heute auch nicht immer einfach, aber ich denke mir jeden Tag: lass uns die Zeit, die uns noch bleibt, genießen.

Was ist dein Motto?

Die Sonnenblume: sie wendet sich immer der Sonne zu. Und das versuche ich auch: ich versuche, wie eine Sonnenblume zu sein und nach Positivem zu schauen. Denn sonst hätte ich das nicht meistern können – mit einem Ganztagsjob, drei Stunden Schlaf pro Nacht, und einem Alzheimer-Patienten zu Hause. Das geht nur, wenn man seinen Partner liebt, positiv denkt und Unterstützung hat.

Vielen Dank, liebe Madelène, für diese einfühlsamen und positiven Einblicke in euer Leben.

Am 19. September organisiert das Info-Zenter Demenz eine Konferenz zum Thema Kostbare Augenblicke – Wie Glücksmomente in der Demenz gelingen, mit u. a. Poetry Slammerin Leah Weigand. Mehr Infos & Anmeldung hier.

[1] Das Interview wurde geführt von Christine Dahm-Mathonet, Direktionsbeauftragte vom Info-Zenter Demenz, im Mai 2023.

[2] Madelène F. und die Interviewerin haben sich in den letzten Jahren kennengelernt und duzen sich.

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