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22 septembre 2023

„Wenn sie lacht, dann ist das für uns alle ein Glücksmoment.“

Im Rahmen des Weltalzheimertages veröffentlicht das Info-Zenter Demenz im September 2023 eine Reihe von Interviews mit Angehörigen von Menschen mit Demenz zum Thema « Glücksmomente trotz Demenz ».

Interview mit Familie Venneker über Glücksmomente mit ihrer Ehefrau und Mutter Emilia [1]

Frau Emilia Venneker (77) ist seit 2009 an einer Demenz erkrankt und lebt seit Februar 2019 im Wohn- und Pflegeheim „Beim Goldknapp“ in Erpeldingen an der Sauer. Wir haben uns dort mit ihrem Mann Johannes (81) und ihren Töchtern Natalie (57) und Vanessa (54) unterhalten.

Herr Venneker, welche Glücksmomente haben Sie mit Ihrer Ehefrau erlebt?

Johannes: Sehr viele (lacht). Wir sind häufig zusammen verreist und haben viel Schönes miteinander erlebt. Emilia war im Allgemeinen immer fröhlich und viele Leute waren sehr froh mit ihr. Jetzt wo sie hier im Pflegeheim wohnt, macht sie immer ein freundliches, zufriedenes Gesicht. Wenn sie gute Laune hat, und das ist meistens der Fall, dann lacht sie. Das sind Glücksmomente für mich.

Vanessa und Natalie, an welche schönen Momente mit Ihrer Mutter können Sie zurückdenken?

Vanessa: Glücksmomente, die ich zusammen mit meiner Mutter erlebt habe, als sie schon erkrankt war aber noch zu Hause wohnte, waren z. B. Momente, in denen wir zusammengesessen und Tee getrunken haben. Genauso wie wir das früher schon gemacht haben, als wir klein waren und aus der Schule kamen. Das war ein Ritual, das ich mit ihr beibehalten hatte. Ein anderes Beispiel ist, wenn ich sie zum Physiotherapeuten begleitet habe. Dort wurde sie massiert und sie war wie „geerdet“ – das war für sie ein ganz besonderer Moment der Entspannung, des Loslassens. Sie hat sich auf das gute Gefühl konzentriert und konnte die Besorgtheit des Alltags vergessen. Es war nicht nur ein Glücksmoment für sie, sondern auch für mich – es war schön beobachten zu können, wie gut das ihr tat.

Natalie: Einen besonders schönen und intensiven Moment mit meiner Mutter hier im Pflegeheim hatten wir einmal abends auf ihrem Zimmer. Wir haben sie für die Nacht vorbereitet und sie hat sich ins Bett gelegt. Ich habe mich zu ihr gesetzt und meinen Kopf zu ihr aufs Kissen gelegt. Wir haben zusammen Countrymusik gehört und ich habe ihre Hand gehalten. Wir haben laut gesungen und sie kannte die Texte noch. Das war ein besonderer Moment für uns beide. Es war mega schön.

Was ist für Sie der Schlüssel zum Glück?

Vanessa: Der Schlüssel liegt immer in einem selbst. Es hat mit der Einstellung zu tun. Wie sieht man die Welt? Mein Schlüssel ist, dass ich jeden Tag etwas finde, das mich glücklich macht. Und solche Momente gibt es sehr viele. Es gibt auch viele negative Sachen, aber in allem Negativen gibt es auch immer etwas Schönes, etwas Positives.

Natalie: Man kann auch Situationen schaffen oder steuern, um das Erleben von Glücksmomenten zu fördern. Man kann z. B. aktiv auf andere zugehen und Bedingungen schaffen, damit schöne Momente entstehen können. Das kann manchmal etwas Kleines sein – es muss nicht immer etwas Großes, Kolossales sein. Man lernt, auch mit kleinen, subtilen Möglichkeiten Glücksmomente zu erleben.

Vanessa: Früher hatten wir Glücksmomente für selbstverständlich genommen.

War es ein Lernprozess, solche schönen Momente möglich zu machen?

Johannes: Am Anfang der Erkrankung meiner Frau gab es oftmals Momente, in denen wir gestritten haben und nicht einer Meinung waren. Die Kurse und Gruppen der Association Luxembourg Alzheimer haben mir im Verlauf der Erkrankung sehr viel geholfen. Ich habe gelernt, was ich im Umgang mit meiner Frau machen und was ich lieber lassen soll. Zum Beispiel habe ich gelernt, ihr nicht zu oft „Nein“ zu sagen oder zu widersprechen. Das hatte oft zu Konflikten geführt, die wir jetzt vermeiden können. Einmal war ich bei ihr im Zimmer und sie hat ohne Ende geplappert. Verstehen konnte man sie zu dem Zeitpunkt fast nicht mehr, aber ich habe in ihrem Blick gesehen, dass irgendetwas für sie überhaupt nicht in Ordnung war. Als ich ihr dann sagte „Ok, so habe ich das nicht gemeint“, war es sofort wieder gut und sie hat wieder gelacht.

Eine andere Situation, die uns anfangs Schwierigkeiten bereitet hat, war das Essen. Meine Frau konnte nicht mehr selbstständig essen und das machte sie wütend. Wenn ich versucht habe, ihr zu helfen, wurde sie noch wütender und hat überhaupt nichts mehr gegessen. Dann haben wir gemerkt, dass sie von anderen Leuten Hilfe annahm, nur nicht von mir. Mit kleinen Anpassungen und Veränderungen konnten wir uns den Alltag nach und nach erleichtern.

Die Schwestern Vanessa (54, links) und Natalie (57, rechts) mit Vater Johannes (81) in der Mitte / (© Info-Zenter Demenz)

Wie geht es Ihrer Ehefrau, seit Sie hier im Pflegeheim wohnt?

Johannes: Am Anfang hatte meine Frau Schwierigkeiten, sich hier im Pflegeheim einzuleben. Aber auch vorher war es schwierig gewesen, wenn ich mit ihr für längere Zeit an einem Platz bleiben musste. Zum Beispiel bei Arztbesuchen oder bei Testterminen. Sie hat sich mit Händen und Füßen gewehrt, weil sie Angst hatte eingesperrt zu werden. Dazu muss man sagen, dass es zu Hause auch nicht einfacher war. Sie ist oft weggelaufen, und einmal hat unser Nachbar mir erzählt, sie hätte gesagt „Bei mir ist ein fremder Kerl im Haus“. Das war also ich.

Vanessa: Für meine Mutter ist jetzt hier im Pflegeheim ihr zu Hause. Wenn ich mit ihr hinausgehe, dann hat sie Angst, dann ist alles unbekannt. Hier im Pflegeheim jedoch ist ihr alles bekannt und sie fühlt sich sicher.

Johannes: Für mich ist das auch ein Glücksmoment zu sehen, dass meine Frau froh ist, hier zu wohnen. Das erkenne ich an ihrer Mimik, ihren Handlungen und daran, wie sie mit den anderen Leuten umgeht.

Natalie: Ja, die panische Angst, die sie mal hatte, die ist weg. Und das ist schön.

Was hilft Ihnen, Glücksmomente mit Ihrer Frau/Mutter möglich zu machen?

Vanessa: Meine Mutter hat immer gerne gelesen – und ich auch. Das war etwas, das wir beide gemeinsam hatten. Ich habe ihr oft holländische Gedichte vorgelesen, kleine Fabeln und das hat ihr geholfen zur Ruhe zu kommen. Sie war am Anfang oft ein wenig aufgebracht und nervös.

Wir müssen heute tiefer schauen, wie es ihr geht, wie sie sich fühlt. Wir versuchen sensibel zu sein und herauszufinden, was sie braucht, was ihr in dem Moment guttun könnte.

Ich versuche auch gewisse Witze und Wortspiele, die sie früher gern benutzt hat, in unseren Austausch einzubauen. Meistens lacht sie dann auch, irgendwie kommt das an sie ran.

Natalie: Meine Mutter und ich haben auch manchmal Musik gehört und zusammen getanzt. Das hat ihr gut gefallen, und es hilft ihr, sich an eine Zeit zurückzuerinnern, in der sie das öfters gemacht hat. Das letzte Mal, als wir das gemacht haben, war der Tag, an dem wir erfahren haben, dass die Corona-Maskenpflicht aufgehoben war. Sie konnte uns endlich wieder sehen – das haben wir dann gefeiert (lacht). Alles ist anders – kein Abstand mehr.

Vanessa: Endlich kann man wieder richtig kuscheln.

Natalie: In der Weihnachtszeit habe ich nach alten holländischen Weihnachtsliedern gesucht, die meine Mutter von früher kannte. Ich habe sie meiner Mutter vorgespielt und wir haben mitgesungen. Das war ein wunderschöner Moment, weil es auch eine besinnliche Zeit war und sie das schon früher geliebt hatte, als wir Kinder waren. Das hat sie dann auch an das Gefühl erinnert, das sie ja schon erlebt hatte. Ich nehme meine Mutter auch viel in den Arm und sage ihr, wie lieb ich sie habe. Und sie sagt mir dann, sie hätte mich auch lieb – und das ist auch ein Glücksmoment.

Manchmal kommen Glücksmomente aber auch unerwartet. Wenn ich z. B. nach der Arbeit total erschöpft bin und zögere, bei meiner Mutter vorbeizuschauen. Dann ist oft alles wunderbar und schön bei ihr. Das ist dann ein besonderer Moment und gibt mir ein Glücksgefühl.

© Info-Zenter Demenz

Haben Sie schon immer solche guten Momente zusammen erlebt? Hat sich mit der Erkrankung etwas verändert?

Vanessa: Ich hatte immer ein gutes Verhältnis zu meiner Mutter und selbstverständlich hat sich vieles verändert, seit sie die Demenzerkrankung hat. Ich bin manchmal ein bisschen traurig, dass sie nicht mehr so ist wie zuvor. Aber ich habe sie noch genauso lieb wie zuvor, das hat sich nicht geändert.

Natalie: Ich vermisse auch die Gespräche, die wir miteinander hatten. Aber es ist jetzt so und wir können nichts rückgängig machen. Die Krankheit ist da, und wir müssen versuchen, das Beste draus zu machen. Aber auch wenn vieles wegfällt versucht man, sich mit dem, was noch da ist, eine neue Welt zu erschaffen, in der es auch schöne Momente geben kann. Momente, die man vorher wahrscheinlich nicht so beachtet hätte.

Johannes: Was mir fehlt ist, dass ich früher mit meiner Frau überall hingegangen bin, mal hier unterwegs, mal dort. Das habe ich jetzt nicht mehr. Aber es bringt nichts traurig zu sein. Es ist wie es ist. Daran kann man nichts ändern, man muss es akzeptieren und das Beste draus machen. Das ist meine Auffassung.

Natalie: Trauer ist nicht die Hauptemotion. Und auch wenn etwas traurig war, haben wir es zusammen geteilt. „Geteiltes Leid, ist halbes Leid“ – das hat uns viel geholfen.

Wie erkennen Sie bei Ihrer Frau/Mutter einen Glücksmoment?

Vanessa: An ihrer Mimik, an ihrem Lachen. Manchmal versucht sie einen Witz zu machen und obwohl wir sie nicht mehr verstehen können, merke ich wie sie schaut, wie sie lacht – ich erkenne den „Schalk“ in ihrem Gesicht.

Natalie: Und weil ich weiß, dass sie gerne Spaß hat, gehen wir manchmal durchs Haus und dann flüstere ich ihr ins Ohr „Da ist einer hinter uns… Sollen wir ein bisschen schneller laufen?“ und dann lachen wir zusammen.

Vanessa: Wir haben auch mal mit ihr und unseren Kindern „Mensch ärgere dich nicht“ mit großen Figuren gespielt. Unsere Mutter hat ihre eigenen Regeln entwickelt und wir haben so viel gelacht. Auch das war ein besonderer Moment.

Johannes (lacht): Sie ist der Boss. Das war schon immer so. Und auch heute noch, wenn ich hier im Pflegeheim mit ihr durch den Flur spaziere, dann sagt sie, wo es lang geht. Sie gibt die Richtung und den Rhythmus an.

Natalie: Ich habe meiner Mutter einmal das Geheimnis anvertraut, dass ich Oma werden würde. Sie hat sich darüber gefreut, weil sie gemerkt hat, dass ich ihr vertraue. Sie hat sich in dem Moment wichtig gefühlt und die Verbundenheit zwischen uns gespürt.

Wie halten Sie solche Glücksmomente fest?

Natalie: Ich teile solche Momente mit meinem Vater, meiner Schwester, meinem Mann und meinen Kindern. Und das ist einfach schön. Entweder erzähle ich ihnen davon oder mache Fotos, die ich an unsere Familiengruppe sende.

Vielen Dank, liebe Familie Venneker, für Ihre Offenheit und für diesen positiven Einblick in Ihr Familienleben.

[1] Das Interview wurde von Marie Tibesart im April 2023 geführt; der Artikel wurde von Maiti Lommel verfasst.

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