Telephone
28 septembre 2023

„Wir sind jeden Tag froh miteinander.“

Im Rahmen des Weltalzheimertages veröffentlicht das Info-Zenter Demenz im September 2023 eine Reihe von Interviews mit Angehörigen von Menschen mit Demenz zum Thema « Glücksmomente trotz Demenz ».

Interview mit Georgette Thull (73) aus Merl über Glücksmomente mit ihrem Mann Hardi [1]

Frau Thull, Ihr Mann lebt mit einer Demenz. Erzählen Sie uns von ihm.

Mein Mann Hardi hat im Jahr 1996 im Alter von 52 Jahren einen Schlaganfall erlitten. Seitdem war er invalide. Im Jahr 2010 hat er dann die Diagnose erhalten, dass es sich bei ihm um eine gemischte Demenz handelt: eine kardiovaskuläre und eine Frontotemporale Demenz. Das ist also eine ziemlich schwere Form der Demenz mit u.a. einer ausgeprägten Veränderung seines Verhaltens. Er war damals erst 65 Jahre alt, also noch sehr jung.

Sie betreuen Ihren Mann daheim. Wie klappt das?

Ich betreue meinen Mann seit 2010 mit Hilfe von professioneller Unterstützung: er ging zunächst zweimal pro Woche in eine Tagesstätte (von 2010 bis 2018) und war 2021 auch einige Zeit in einem Pflegeheim. Weil sich sein Zustand dort jedoch drastisch verschlechtert hat, habe ich ihn nach fünf Monaten wieder zu mir nach Hause genommen. Zu Hause kommt zweimal täglich ein ambulanter Pflegedienst vorbei und zusätzlich ist eine Gouvernante, unsere ehemalige Haushaltshilfe, jeden Tag während 6 Stunden bei uns. Außerdem kommt jeden Dienstag- und Freitagnachmittag eine Betreuungsperson zu uns, so dass ich etwas Auszeit habe z.B. um Einkäufe zu machen. Das ist kein Zuckerlecken, aber seitdem er seit zwei Jahren wieder zu Hause ist geht es ihm besser. Er lässt sich mittlerweile wieder duschen und dank der wertvollen Arbeit von Physiotherapeuten kann er (zwar mit Unterstützung) wieder gehen und alleine zur Toilette gehen. Eine Ergotherapeutin hat ihm geholfen, sich auch wieder mit Worten auszudrücken und selbstständig zu trinken. Und Dank der Ratschläge einer Logopädin isst er wieder gut. Wir haben uns gut organisiert und freuen uns über jeden Tag.

Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Der Tag beginnt morgens um 5 Uhr, wenn ich ihm seine Nacht-Inkontinenzeinlage wechsele und ihm eine Tages-Inkontinenzhose anziehe. Morgens rasiere ich ihn und wasche ihm Gesicht, Hände und Füße. Dann bereite ich sein Frühstück vor und reiche es ihm, in kleine Stücke geschnitten und in Kaffee getunkt zum Aufweichen. Seine Medikamente zerdrücke ich in einem Joghurt. Damit sind wir gut anderthalb Stunden beschäftigt. Dazwischen gebe ich ihm immer wieder zu trinken. Und dann kommt meistens schon die Pflegerin, die ihn dann wäscht und jeden zweiten Tag duscht. Zum Mittagessen bereite ich ihm püriertes Gemüse und Fleisch zu. Dazu trinkt er sein alkoholfreies Bier. Nachmittags gebe ich ihm püriertes Obst, zusammen mit weiteren Medikamenten. Immer wieder bewegen wir ihn: von seinem Bett in den Wohnzimmersessel, auf die Terrasse oder in seinen Fernsehsessel. Abends isst er eine Gemüsesuppe mit etwas Zwieback und seinen Joghurt mit den restlichen Medikamenten. Dann sind wir fertig. Es ist ein Rund-um-die-Uhr-Job. Deswegen soll man sich gut überlegen, ob man das kann und will. Und man braucht auf jeden Fall Hilfe, denn alleine schafft man das nicht. Deshalb habe ich meine Schwester, unsere Freunde, unsere Ärzte, unsere Psychologin und die Pflegeversicherung angesprochen und mir Unterstützung organisiert. Ich wollte nicht ins kalte Wasser springen. Und dennoch ist es eine Herkulesaufgabe. Aber für meinen Mann ist es das Beste, in seinem häuslichen Umfeld zu sein. Und auch wenn sich das eigenartig anhört, aber ich bin überglücklich, dass er zu Hause ist.

Welche schönen Momente erleben Sie mit Ihrem Mann?

So wie mein Mann momentan ist, so wie wir heute Morgen noch mit ihm gesprochen haben, das war ein schöner Moment. Eine Pflegerin hat ihn gewaschen und weil er unruhig war, haben unsere Gouvernante und ich ihn dabei gehalten und fröhlich abgelenkt. Das hat ihn beruhigt. Das war schön und wir konnten zusammen lachen. Beim Abschied hat die Pflegerin ihn aufgefordert: „Sag Äddi Dominique“. Worauf er geantwortet hat „Äddi Nicki“. Das sind Momente wo man denkt: dass ich ihn wieder zu mir nach Hause genommen habe, das habe ich kein Gramm bereut. Jeden Tag denke ich mir, das war all die Mühen wert.

Das Schlimmste an der Krankheit ist, dass die Zeit verfliegt und es absolut kein Zurück gibt. Es gibt so vieles, das ich meinem Mann noch gerne sagen würde, aber das geht leider nicht mehr. Ich musste mich von dem Mann verabschieden, mit dem ich seit 53 Jahren verheiratet bin. Aber wenn ich sehe, dass er mich erkennt und lacht, wenn ich zu ihm ins Zimmer komme, dann gibt das mir Kraft.

Als er 2021 im Pflegeheim war, und ich wegen den Corona-Bestimmungen nicht zu ihm konnte, haben wir manchmal miteinander telefoniert, damit er meine Stimme hören konnte. Wenn er zum Beispiel essen sollte aber unruhig war, haben die Pfleger ihm ein Telefon zur Seite gestellt und mich gebeten, ihm einfach irgendetwas zu erzählen. Und nach einer gewissen Zeit hat die Pflegerin mir am Telefon gesagt: „Danke, das hat funktioniert, er hat gegessen.“

Es gibt natürlich auch heute zu Hause immer wieder schlechte Tage. Das ist dann so und wir akzeptieren das.

Georgette Thull mit ihrem Mann Hardi (© G. Thull)

Eigentlich sind das ganz kleine Dinge, die solche Glücksmomente ausmachen.

Ja, das stimmt. Zum Beispiel wenn er „Mausi“ oder „Äddi“ sagt, dann freuen wir uns. Wir haben ihn auch angespornt „Hop, hop“ zu sagen, wenn sein Pfleger kommt. Daran konnte er sich noch einen Tag später erinnern und das hat uns gefreut. Diese schönen Momente genießen wir wirklich. Das ist für uns ein Erfolg; dafür hat die Arbeit sich gelohnt. Wir sind dankbar für jeden Schritt, den er macht.

Wie hat sich Ihre Beziehung zu Ihrem Mann verändert?

Als wir beide noch berufstätig waren, haben Freunde uns oft gefragt, ob uns nicht langweilig wäre. Überhaupt nicht, denn wir konnten stundenlang über dies und jenes diskutieren. Wir waren in verschiedenen Vereinen, sind viel gewandert, und waren eigentlich immer zusammen. Als mein Mann dann krank wurde, ist es für mich ganz natürlich geworden, dass ich auf ihn aufpassen sollte. Unser Hausarzt hat meinen Mann ermutigt, sich auf mich zu verlassen: „Lassen Sie Ihre Frau für sich mitdenken.“ Er hat das genauso akzeptiert und mir vertraut, und so hat sich unsere Situation automatisch gewandelt. Ich musste dann sehen, wie ich damit zurechtkam, mit der Krankheit und mit ihm. Ich habe auch Zeit gebraucht, um das zu verdauen und hinzukriegen. Wenn mein Mann seine Schuhe verkehrt herum angezogen hat, dann war das kein Problem und niemand hat sich aufgeregt.

Ich sehe ihn nun nicht mehr als meinen Mann, sondern als einen Menschen, der meine Hilfe braucht, weil er alleine nicht mehr zurechtkommen würde. Er kann nicht mehr sagen, wenn er hungrig oder durstig ist. Natürlich ist er noch mein Mann. Aber ich kümmere mich nicht um ihn, weil ich mich ihm als meinem Ehemann gegenüber verantwortlich fühle, sondern weil dieser Mensch mich braucht.

Was gibt Ihnen Kraft?

Zu sehen, dass meine Arbeit bei ihm etwas bewirkt, das gibt mir jeden Tag Kraft. Das ist wie wenn ich etwas koche, was mich drei Tage Vorbereitung gekostet hat, aber wenn es jedem schmeckt, dann ist das super. Dann ist es für mich alle Mühe und Frustration wert. Denn ich muss zugeben, dass ich auch manchmal die Nase voll habe, denn ich fühle mich ja nicht jeden Morgen um 5 Uhr früh wie ein junges Fohlen (lacht). Und wenn wir dann zusammen lachen, dann ist alles für mich in Ordnung. Außerdem gehe ich jeden Tag, Sommer wie Winter, während morgens die Pflegerin da ist, 20 Minuten durch den Park spazieren und komme gestärkt wieder zurück.

Oft denke ich mir abends: uff, das ist heute aber wieder gut gelaufen, wo hast du nur die Kraft dazu gefunden? Meine Kraft ist meine Zufriedenheit. Ich bin zufrieden, habe kein schlechtes Gewissen (meine Oma hatte immer gesagt: „Mein gutes Gewissen ist mein gutes Kissen.“) und hadere nicht mit meinem Schicksal. Ich frage mich nicht: warum geschieht mir das? Warum ich? Was habe ich bloß verbrochen? Das sehe ich absolut nicht so. Ich nehme mein Schicksal an. Sicherlich hätte ich gerne vieles anders erlebt. Aber wenn ich dann meinen Mann ansehe, dann weiß ich, dass ich richtig gehandelt habe.

Vielen Dank, Frau Thull, für dieses Gespräch und den Einblick in Ihre Erfahrung.

[1] Das Interview wurde geführt von Christine Dahm-Mathonet, Direktionsbeauftragte vom Info-Zenter Demenz, im Juni 2023.

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